Wo kommt eigentlich das Wasser her?

Tja. Weiß man doch. Oder?

“Fällt bei Stromausfall eigentlich auch das Wasser aus?” fragte jemand im Kontext des Stromausfall in Spanien und Portugal im April 2025.

Soviel wusste ich schonmal: Das Trinkwasser wird aktiv in die bekannten Hochbehälter gepumpt, und spätestens sobald die leer sind, fällt es aus. Vermutlich ist das auch gut so, denn die Kläranlage funktioniert bei Stromausfall schließlich ebenfalls nicht.

Ich habe das Thema zunächst vergessen und als ich dann mal wieder am Hochbehälter spazierenging, war die Frage erneut da: Wo kommt eigentlich das Wasser her?


Die wenigen Fakten

An den aktiven und historischen Hochbehältern hier in Pohlheim stehen Schautafeln, die aber in erster Linie die (gar nicht mal uninteressante) Historie beleuchten und nicht so wirklich auf die aktuellen Gegebenheiten eingehen. Ein paar Eckpunkte lassen sich hier aber ablesen:

  • Das Wasser kommt seit den 1960er Jahren nicht mehr aus Quellen vor Ort, sondern aus dem 50 km entfernten Wasserwerk Stadtallendorf.
  • Die Leitung in meine Stadt zweigt an einem bekannten Industriebetrieb mitten im Wald von der Fernleitung ab.

Das sind erste Kristallisationspunkte, an denen man andocken kann.

Umfangreiches Klicken brachte einen Netzplan des Zweckverbands Mittelhessischer Wasserwerke zutage, von dem ich lernte, dass Wasserleitungen Nummern zur Identifikation haben, und dass es Wasserleitungen gibt, die vom Zweckverband betrieben werden und welche, die von der Stadt betrieben werden. Mich interessierten vor allem die vom Zweckverband betriebenen Fernleitungen, die jeweils an der Stadgrenze enden, ab wo es mit Hausanschlüssen und Hydranten weitergeht.

Auf dem Netzplan tauchten auch zum ersten mal die von mir in ihrer Existenz lediglich vermuteten Pumpwerke, im Fachjargon Druckerhöhungsanlagen, auf. Eine kleine, klar zum älteren aber noch aktiven Hochbehälter gehörende, die das Wasser in den höher gelegenen neuen Hochbehälter pumpt, und eine größere irgendwo im Süden von Gießen.


Zeichen lesen

Weiß man erst einmal, dass die Leitungen Nummern haben, erkennt man auf den kleinen blauen Wasserschildern, mit denen alle Armaturen oberirdisch beschriftet sind, leicht eine organisatorische Nummer, die immer die Nummer der jeweiligen Leitung beinhaltet. Mit dem eher abstrakten Netzplan bewaffnet, konnte ich dann relativ gut ausschließen, was links und was rechts der Leitung liegt, Annahmen über den weiteren Verlauf der Leitung treffen und immer mehr unterirdische Standorte identifizieren, die Rückschluss auf den Leitungsverlauf erlauben. Mit etwas numerologischem Gefühl kann man anhand zweier Nummern auch bewerten, ob man dazwischen noch einen Standort übersehen hat.

Die Kürzel der Wasserschilder hinsichtlich des Typs der jeweiligen Armatur sind mir leider bis zuletzt ein Rätsel geblieben, denn es existiert hier vor Ort *keine* Schnittmenge (also wirklich Null) mit dem, was jemand auf Wikipedia dazu aufgeschrieben hat.

KürzelBedeutungOverpass Turbo Suche
SSchieberhttps://overpass-turbo.eu/s/25bu
SSSchieberschacht(?) – Es ist hier immer ein Einstieg vorhanden.https://overpass-turbo.eu/s/25bm
BEBelüftung (und Entlüftung?)https://overpass-turbo.eu/s/25bn
ENUnbekannthttps://overpass-turbo.eu/s/25bo
MSUnbekannthttps://overpass-turbo.eu/s/25bp
VBUnbekannt, ausschließlich an großen Abzweigen der Hauptleitung 1.1 gesehen.https://overpass-turbo.eu/s/25bq
AKAbsperrklappe(?)https://overpass-turbo.eu/s/25br
Düker unter der Lahn auf der Hauptleitung 2.7https://overpass-turbo.eu/s/25bs

Exkursionen

Nachdem die Umgebung des Hochbehälters zu Fuß erkundet war, gab es keine Ausreden mehr, und es musste mit dem Fahrrad querfeldein gehen.

Bei dieser Spurensuche hat sich eine ganz wichtige Grundregel entwickelt: Die Leute vom Wasserwerk wollen und müssen mit ihrem blauen Werkstattwagen überall direkt ran. Jeder einzelne Standort, den ich identifiziert habe, ist (wenn auch nicht öffentlich) mit einem nicht geländegängigen Auto anfahrbar. Auf einem kaum passierbaren Trail mitten in der Wildnis wird man niemals Wasserarmaturen finden.


Verdatung

Jeder hat auf Openstreetmap schon die eingetragenen Hochspannungstrassen gesehen. Wasserleitungen sind dagegen absolut exotisch. Hydranten sind vielleicht kartiert, Schieber eher nicht, Leitungsverläufe schon gar nicht. Eine Ausnahme davon ist Florstadt in der Wetterau, wo die Feuerwehr die innerörtlichen Leitungsverläufe kartiert hat.

Ich habe also angefangen, mir ein paar der dünn gesäten Beispiele zu suchen, das ganze mit dem OSM-Wiki abgeglichen und angefangen, wie folgt zu taggen:

Armaturen

diameter=x
operator=ZMW
pipeline=valve
ref=x.y
substance=water
note=x (Kürzel und Durchmesserangabe des Schilds)

Leitungen

name=ZMW x.y
operator=ZMW
ref=x.y
waterway=pressurized
man_made=pipeline
substance=water
location=underground
layer=-1

Die Gesamtheit aus Teilstücken und Armaturen als Relation

layer=-1
man_made=pipeline
ref=z.y
name=ZMW x.y
substance=water
type=waterway
waterway=pressurised

Hydranten habe ich nur in Ausnahmefällen ergänzt:

  • Ganz fehlende Hydranten auf Hauptleitungen aufgenommen
  • Gegebenenfalls note=Blauer Rand für Hydranten, die nicht ohne weiteres von der Feuerwehr zur Wasserentnahme benutzt werden dürfen.
  • Falschzuordnung Unter-/Überflurhydrant berichtigt
  • Wenn ergänzt wurde, dann auch Durchmesser und Referenznummer dazu.

Hier die von mir kartierten Relationen:

  • ZMW 1.1, die aus Richtung Wetzlar kommende und östlich von Gießen verlaufende Fernleitung nach Stadtallendorf
  • ZMW 2.7, die von ZMW 1.1 abzweigende westlich von Gießen verlaufende Fernleitung nach Stadtallendorf
  • ZMW 5.9, die von ZMW 1.1 abzweigende Hauptleitung zu meinem Wohnort
  • ZMW 3.14, eine zu einer südlich gelegenen Kommune weiterführende Leitung, die auch die beiden Hochbehälter verbindet
  • ZMW 3.15, eine redundante Leitung zwischen den Hochbehältern
  • ZMW 4.15, eine zu den östlichen Stadtteilen führende Leitung
  • ZMW 4.16, eine zu den südlichen Stadtteilen führende Leitung
  • ZMW 4.18, eine zu den nördlichen Stadtteilen führende Leitung, von der ich vermute, dass sie auch die Anbindung der sogenannten “Hochdruckzone” der Stadt ist.
  • ZMW 1.5 in Richtung Lich hat mich nur interessiert, weil ihre Druckerhöhungsanlage so prominent im Wald zu sehen ist

Des weiteren:

Leitungsverläufe wurden grundsätzlich nur als direkte Verbindungen zwischen überirdisch gefundenen Armaturen kartiert, außer es war eine zweifelsfreie Aussage über den Verlauf möglich, wie etwa bei ZMW 1.5 auf der auffälligen Schneise im Stadtwald, sowie der SWG-Querverbindung entlang der Bahngleise und entlang des Aulweg, an dessen Kreuzung mit dem Wartweg zum Zeitpunkt meiner Erkundungen genau diese 600er Leitung der Querverbindung gebrochen war.


Druckerhöhungsanlagen

Die Schnittstelle zwischen ZMW 1.1, ihrer Querverbindung, und ZMW 2.7 hat mir ein paar Tage lang ziemliche Rätsel aufgegeben, weil sie sich an einem komplett unübersichtlichen gordischen Knoten zwischen Bahnlinien und mehreren autobahnänlichen Bundesstraßen befinden musste. Ich konnte das sehr unauffällige Gebäude schließlich zweifelsfrei identifizieren, habe es aber in der Karte nicht getaggt.

Die Druckerhöhungsanlage am Abzweig der ZMW 1.5 von der ZMW 1.1 steht prominent im Wald und ist vor Ort als solche beschriftet.


Wie weiter

Ein spannender Einblick in Infrastruktur, von der man kaum etwas weiß und sieht, geht zu Ende. Unauffälligen Grüngürteln in Neubaugebieten und vegetationsfreien Schneisen im Wald messe ich plötzlich Bedeutung als potenziellem und vermutlichem Trassenverlauf zu.

Falls mich jemand auf Insiderbasis in die Geheimnisse der Schilderkürzel einweihen und zu einer Besichtigungstour in Wasserwerk und Hochbehälter einladen möchte: Kontaktmöglichkeiten finden sich im Impressum. 🙂